Az.: XI ZR 182/10 und XI ZR 178/10
Der Verfasser dieses Berichts war heute als interessierter Prozessbeobachter in Karlsruhe. In Anbetracht der bislang sehr dünnen Berichterstattung der Agenturen erlaubt sich der Verfasser in aller Schnelle auf einige Besonderheiten der Verhandlung hinzuweisen:
Der Vorsitzende machte zunächst deutlich, dass mit zwei Verhandlungen nicht sämtliche Facetten der Lehman-Fälle behandelt werden könnten. Mehr als 40 Revisionen seien bereits anhängig. In diesem Zusammenhang erwähnte der Vorsitzende explizit, dass man bereits im April 2011 einiges Grundsätzliches in Sachen Lehman zu sagen gehabt, wenn nicht die dortige Rechtsmittelführerin (Frankfurter Sparkasse) die Revision zurück genommen hätte. Auch diese Verfahren, die sich durch Rücknahme der Revision erledigt haben, seien nicht mit den zur heutigen Verhandlung stehenden zu vergleichen gewesen...
Folgende Prüfungsschema ging der Senat durch:
1. Anlageberatungsvertrag
Ein solcher sei unstreitig gegeben. An dieser Stelle wehrte sich der Vorsitzende gegen die teilweise Kritik an der sog. Swap-Entscheidung des Senats durch eine renommierte deutsche Zeitung. Der anwesende Kollege und Journalist Joachim Jahn durfte sich sichtlich amüsiert anhören, dass seine in der FAZ offensichtlich geäußerte Kritik am angeblichen Konstrukt Beratungsvertrag wörtlich "hanebüchen" sei. Der Beratungsvertrag jedenfalls sei kein Konstrukt, so der Vorsitzende. Immerhin hätte es einmal Banken gegeben, die sich Beraterbank nannten, so Wiechers.
2. Anlegergerechte Beratung
Verstöße gegen die anlegergerechte Beratung musste der Senat nicht thematisieren, da solche nicht angegriffen worden seinen.
Sämtliche nachfolgenden Erwägungen des Senats erfolgten daher unter der Überschrift "Objektgerechte Beratung".
3. Objektgerechte Beratung
Nach Auffassung des Senats müsse man stets (!) das "allgemeine" und das "konkrete" Emittentenrisiko trennen. Eine beratende Bank müsse den Anleger darauf hinweisen, dass sein gesamtes Geld verloren sein könne, wenn der Emittent insolvent würde. Zwar sei dies möglicherweise nicht überraschend, im Rahmen einer Beratung sei hierüber gleichwohl aufzuklären!
In den beiden zur Verhandlung stehenden Fällen sei jedoch unangreifbar in den VorInstanzen festgestellt worden, dass die Bank dieser Pflicht genügt hätte. Insoweit brauche der Senat hierzu (richtigerweise!) nichts weiter sagen.
Über das konkrete Emittentenrisiko müsse nur aufgeklärt werden, wenn Anhaltspunkte für z.B. eine schlechte Bonität des Emittenten vorlägen. Nichts dergleichen sei in den Vorinstanzen vorgetragen worden, so dass (richtigerweise!) keine Veranlassung bestünde die Bonität von Lehman zwischen Dezember 2006 und Oktober 2007 zu untersuchen. Das Rating sei gerichtsbekannt auch bis Oktober 2007 unverändert ("gut") gewesen.
Eine Hinweispflicht auf die fehlende Einlagensicherung sei "sinnlos", so der Vorsitzende. Wem pflichtgemäß das allgemeine Emittentenrisiko vor Augen geführt wurde, der nimmt zur Kenntnis, dass er einen Totalverlust erleiden kann. Ihm dann noch zu sagen, dass er auch von anderer Seite nichts zu erwarten hat, könne nicht gefordert werden.
4. Gewinnmarge
In den streitgegenständlichen Fällen ging der Senat von sog. Festpreisgeschäften aus. Unklar blieb, ob dies aufgrund der Feststellungen der Vorinstanz oder aufgrund eines unstreitigen Sachverhalts zu Grunde gelegt wurde. Jedenfalls verwahrte sich der Bevollmächtigte der Kläger u.a. auch hiergegen. Er ging vom Kommissionsgeschäft aus (!), da die Sparkasse das Festpreisgeschäft nicht bewiesen habe.
Jedenfalls, so der Senat, sei die echte Marge (die auch teilweise als "Discount" oder "Rabatt" bezeichnet wurde) in Höhe von 3,8% nicht aufklärungsbedürftig. Es fehle bereits am drei Personenverhältnis. Im Übrigen sei das Gewinnstreben der Bank nicht zu beanstanden. Warum der zusätzlich an die Bank geflossene Ausgabeaufschlag in Höhe von 1,00 % -der offen ausgewiesen wurde- nicht aufklärungsbedürftig sei, wurde m.E. nicht erläutert. Der Bevollmächtigte der Kläger griff gerade diesen Punkt zu Recht an. Der Bevollmächtigte der beklagten Sparkasse versuchte zu argumentieren, dass der Ausgabeaufschlag quasi zur Gewinnmarge gehöre, was im Hinblich auf die sonstige BGH-Rechtsprechung (zu Ausgabeaufschlägen) nicht wirklich überzeugt.
Die Sonderbedingungen für Wertpapiergeschäfte der Banken und Sparkassen geben vor, dass Wertpapiergeschäfte grundsätzlich als Kommissionsgeschäft ausgeführt werden, es sei denn es wird ein Festpreisgeschäft vereinbart. Die Darlegungs- und Beweislast für das Festpreisgeschäft dürfte damit bei der Bank liegen. In den BGH-Fällen, die verhandelt wurden, ist offensichtlich der Behauptung der Bank im Hinblick auf das Festpreisgeschäft seitens der Anleger nicht (rechtzeitig) entgegengetreten worden. Bei zahlreichen Verfahren des Unterzeichners ist dagegen unstreitig, dass die Lehman-Zertifikate als Kommissionsgeschäft vertrieben wurden (z.B. Frankfurter Sparkasse). In anderen Fällen sprechen Indizien (ggf. Urkundsbeweis) für das Kommissionsgeschäft (Commerzbank erwähnt "Kurs" und "Börse" auf der Wertpapierabrechnung; Citibank bzw. Targobank ausdrücklich "Kommissionsgeschäft"). Hieran wird ein Gericht nicht ohne Beweisaufnahme vorbeikommen, wenn man von der Aufklärungsbedürftigkeit beim Kommissionsgeschäft ausgeht (so. z.B. Joachim Jahns Interpretation der BGH-Verhandlung, FAZ 28.09.2011). Günstiger sieht es für die zahlreichen Volks- und Genossenschaftsbanken (COBOLD-Anleihen) aus, die auf der Wertpapierabrechnung sauber von "Preis" (nicht Kurs) und stets "Festpreisgeschäft" auf die Abrechnung schreiben.
Die Hoffnungen von vielen Lehman-Geschädigten waren groß, die Enttäuschung ist es ebenfalls (Zit. FTD). Ganz so enttäuschend verlief der Tag m.E. nicht. Denn es ist für viele Beobachter offenbar völlig untergegangen, dass der BGH von einer Aufklärungspflicht bezüglich des Emittentenrisikos definitiv ausgeht. An einer solchen fehlte es -anders als in den BGH-Fällen- in der Praxis aber sehr häufig. Zudem können Anleger eine Aufklärungspflicht über das konkrete Emittentenrisiko im Einzelfall sicher ab März 2008 darlegen und ggf. beweisen.
Viele Banken haben die Zertifikate als Kommissionsgeschäft vertrieben. Hier kann weiter von einer Aufklärungspflicht ausgegangen werden. Auf ein Wort hierzu im Urteil (obiter dictum) hofft:
RA Matthias Schröder