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Dienstag, 17. Januar 2012

Auszug aus der Urteilsbesprechung BGH XI ZR 178/10 und XI ZR 182/10 jurisPRBank- und Kapitalmarktrecht von RA Schröder

Auszug: [...]

Problemstellung:

Um die Pflicht zur anlegergerechten Beratung zu erfüllen, muss die beratende Bank grundsätzlich in jedem Einzelfall prüfen, ob ein von ihr empfohlenes Wertpapier den Vorstellungen und Vorgaben des Anlegers gerecht wird (anlegergerechte Beratung) und des weiteren alle für die Anlageentscheidung risikorelevanten Umstände von wesentlicher Bedeutung mitteilen (objektgerechte Beratung). Seit der für die Bankenhaftung im Zusammenhang mit der Anlageberatung grundlegenden Bond-Entscheidung des BGH (Urt. v. 06.07.1993 - XI ZR 12/93) hat keine bislang populäre Wertpapiergattung die Gerichte diesbezüglich vor größere Herausforderungen gestellt. Mit dem Jahre 2008 und den massenhaft eingetretenen Schäden mit sog. „Zertifikaten“ hat sich dies grundlegend geändert. Die instanzgerichtliche Beurteilung, wie riskant ein Zertifikat ist, ob es zu den Vorgaben und Vorstellungen des Anlegers passt und was im einzelnen in Bezug auf die Risiken mitzuteilen ist, hätte in den Jahren 2008 bis 2011 nicht unterschiedlicher ausfallen können (vgl. die Beurteilungen der Oberlandesgerichte Düsseldorf und Frankfurt am Main zum sog. „Global Champion-Zertifikat“; OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 22.03.2011 - 19 U 248/10 und OLG Düsseldorf, Urt. v. 22.07.2011 - 17 U 117/10). Spätestens seit dem Jahre 2010 blickten sämtliche Instanzgerichte, aber auch die beteiligten Rechtsanwälte auf Anleger- und Bankenseite, mit Spannung nach Karlsruhe. Die Erwartung bezüglich einer schnellen Entscheidung wurde enttäuscht. U.a. auch deshalb, weil ein beteiligtes Kreditinstitut wenige Tage vor der mündlichen Verhandlung im April 2011 mehrere Rechtsmittel zurücknahm und dem XI. Zivilsenat damit die bereits vorbereitete Klärung zahlreicher Probleme unmöglich machte. Ein knappes halbes Jahr später war es dann mit den hier besprochenen Entscheidungen soweit, dass der XI. Zivilsenat erste Klarheit schaffen konnte.

Inhalt der Entscheidungen;

[...]

A.      Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Sachverhalte der beiden Entscheidungen des BGH vom 27.09.2011 (XI ZR 182/10 und XI ZR 178/10) ähneln sich in den wesentlichen entscheidungsrelevanten Punkten stark. Die Anleger erwarben einmal im Dezember 2006 (XI ZR 178/10) und einmal im September 2007 (XI ZR 182/10) bei der gleichen Bank Zertifikate der Emittentin Lehman Brothers Treasury Co. B.V. Während das im Jahre 2006 emittierte Zertifikat als Basiswert einen sog. Aktienkorb aus verschiedenen DAX-30-Werten hatte, setzte das im Folgejahr aufgelegte Papier auf die Entwicklung des Dow Jones EURO STOXX 50 Preisindex. Beide Zertifikate hatten Laufzeiten von mehr als vier Jahren und trugen ein Garantieversprechen der Emittentin bzw. der Muttergesellschaft der Emittentin als Garantin auf vollständige Rückzahlung zum Nennwert (ohne Ausgabeaufschlag). Auf die Feinheiten bezüglich der Ausgestaltung der Wertpapiere und die ggf. durchaus feststellbaren Unterschiede in den Kenntnissen, Erfahrungen und Einstellungen der Anleger kam es bei der revisionsrechtlichen Untersuchung aufgrund der feststehenden Sachverhalte nicht an. Der XI. Zivilsenat des BGH hatte vor allem zugrunde zulegen, dass die beklagte Bank die Wertpapiere vor der Beratung „von der Emittentin zu einem unter dem Nennwert liegenden Preis erworben und sodann aus dem Eigenbestand an die Kläger veräußert hat“ und den Klägern darüber hinaus in den Vorinstanzen der Beweis der fehlenden Aufklärung über das allgemeine Emittentenrisiko nicht gelungen war. Angriffe, bezogen auf die Pflicht zur anlegergerechten Beratung, spielten revisionsrechtlich in beiden Verfahren keine Rolle, und so überrascht es nicht, dass die Begründungen der Urteile nahezu deckungsgleich sind. Damit drängt sich die gemeinsame Besprechung der Entscheidungen auf. Das Landgericht Hamburg hatte beiden Klagen stattgegeben. Gegen die Aufhebung der begünstigenden Berufungsentscheidung durch das Oberlandesgericht Hamburg legten die Kläger das zugelassene Rechtsmittel der Revision ein. Der BGH hat die Revisionen zurückgewiesen. Der BGH ging – wie die Vorinstanzen – vom Vorliegen eines Anlageberatungsvertrages aus. Pflichtverletzungen im Rahmen der geschuldeten Anlageberatung konnte der BGH nicht erkennen.

Die beiden Entscheidungen des XI. Senats des BGH stellen in Bezug auf den Pflichtenkreis der Bank im Zusammenhang mit der objektgerechten Beratung eine konsequente und gut begründete Weiterentwicklung der sog. Bond-Entscheidung und der danach ergangenen Rechtsprechung des Senats dar und verdienen - mit Ausnahme der Behandlung des Problemkreises der Gewinnmargen - uneingeschränkte Zustimmung.

I.         Konkretes Emittentenrisiko

Es dürfte sich von selbst verstehen, dass ein „konkret bestehendes Insolvenzrisiko der Emittentin oder Garantin“ bei einer Schuldverschreibung zu denjenigen Eigenschaften und Risiken gehört, die für die Anlageentscheidung wesentliche Bedeutung haben oder haben können. Die Frage konnte mit der allgemeinen Definition des XI. Senats zur objektgerechten Beratung bereits gelöst werden. Der argumentativ eher unterstützende Rückgriff des Senats auf die streitgegenständliche Aufnahme der Papiere in das „Anlageprogramm“ der Beklagten war zur Begründung der entsprechenden Pflicht nicht notwendig. Spannend wird die zukünftig notwendige Positionierung des Senats, ab wann Banken bei ordnungsgemäßer Prüfung ein konkretes Insolvenzrisiko hätten erkennen können. Hier bedarf es auf der Seite der Anleger zunächst eines entsprechenden Vortrages. Der erste streitgegenständliche Erwerb im Dezember 2006 z.B. lässt eine solche Darlegung wohl mangels Anknüpfungspunkt kaum zu. Spätere Erwerbe - vor allem die im Jahre 2008 - oder die nicht selten nach früheren Erwerben erfolgten Nachberatungen (z.B. aufgrund beobachteter Kursrückgänge) lassen hier einen entsprechenden Vortrag und Nachweis zu (vgl. für den Zeitpunkt 11.08.2008, OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 15.09.2011-3 U 10/11 mit zahlreichen Hinweisen auf Ratingrückstufungen und relevante negative Presseberichterstattung ab Juni 2008 oder OLG Hamburg Urt. v. 27.06.2011- 6 U 110/10).

 Allgemeines Emittentenrisiko 

Selbstverständlich hat auch der Umstand, dass die Rückzahlung der Anleihe grundsätzlich von der Bonität oder dem Fortbestand des hinter der Anleihe stehenden Unternehmens abhängt, wesentliche
[mehr demnächst im jurisPRBank- und Kapitalmarktrecht]

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